Es geht los. Judith Peters hat zur Blogparade aufgerufen. Es ist meine erste Blogparade, an der ich teilnehme. Und da ich mitbekommen habe, dass auf diese Weise die Sichtbarkeit für ein Thema sehr hoch sein kann, war es nur eine kurze Überlegung und Abwägung wert, ob ich mich als Blog-Neuling gleich daran beteilige und einen Aufruf für mein Herzensthema chronisch erkrankt starte. Gesagt, getan. Mit Chronisch und erfüllt: Wofür bist du am Ende eines Tages dankbar? möchte ich in den Austausch kommen.
Was bedeutet es „erfüllt“ zu sein bzw. einen „erfüllten“ Tag zu haben?
Viele Menschen in meinem Umfeld setzen die beiden Wörter glücklich und erfüllt als Synonym ein. Doch ich sehe das anders. Ich unterscheide sie und definiere sie in meinem Leben als zwei separate Wörter, die mich in meiner derzeitigen Lebensphase täglich begleiten.
Glücklich sein, ist in meinen Augen nur mit positiven Aspekten im Leben verbunden und dementsprechend nimmt man es als positive Emotion bzw. einem positiven Gefühl wahr.
Erfüllt sein dagegen, bedeutet für mich, dass man sich bewusst mit einem Zustand, einer Einstellung oder einer Situation auseinandersetzt, die positiven wie auch negative Seiten daran sieht, sich inspirieren lässt und sich auf das fokussiert, was man erreicht hat und wie man damit umgegangen ist bzw. umgeht. Man findet Erfüllung in dem, was man (bedingungslos) macht, sich weiterentwickelt, das Leben lebt und mit all seinen Facetten annimmt. Erfüllung wird meinem Erachten nach gefunden in Werten, Zielen und dem Vertreten des eigenen Standpunkts – oder ganz banal auch in einem selbst, im Inneren des Herzens. Ein erfülltes Leben ist somit mit einem achtsamen Leben gleichzusetzen.
Somit kann ich, trotz meiner chronischen Erkrankung und den damit einhergehenden täglichen Herausforderungen, die guten Seiten des Lebens sehen. Denn es bietet mir immer noch viele Möglichkeiten, es erfüllt zu gestalten. Priorität hat dabei natürlich der totale Fokus auf mich selbst und mein Wohlbefinden.
Freuden des Alltags
Heute sind es die Kleinigkeiten im Alltag, die mich erfreuen. Sei es das Sonnenlicht am frühen Morgen, das Vogelgezwitscher draußen vor dem Fenster, das wachsende Obst/Gemüse in meinem Hochbeet, das (Auf)Blühen einer Blume, den Anblick von Bienen bzw. Schmetterlingen auf den Pflanzen oder einfach nur schöne Begegnungen, kurze positive und freudige Gespräche mit einer mir unbekannten Person oder eben auch ein Telefonat mit meiner Freundin.
Am allermeisten freut es mich jedoch, dass ich noch am Leben bin. Überwiegend ans Haus gebunden, so liebe ich doch das Leben und genieße den Augenblick im Hier und Jetzt.
Perspektivwechsel chronische Erkrankung
Erst durch die Erkrankung hab ich wieder gelernt, auf mich und meinen Körper zu hören und ihn, sowie seine Symptome/Aufschreie, wahrzunehmen. Der Rücken, Nacken oder die Schultern schmerzen? Ach was, das geht schon. Zur Not nehme ich eine Tablette, umwickle mich mit einem Wärmepflaster oder lege mir ein Körnerkissen auf die Schultern. Blitze vor den Augen oder die Augenlider zucken? Das ist die Arbeit am PC oder der Beginn einer Migräne. Meine Stimme bricht ein? Na klar, du hast ja heute den ganzen Tag nur in Meetings oder vor Schulklassen geredet …
Es gibt viele solcher Beispiele und ich gehe davon aus, dass sie jedem hier in irgendeiner Weise bekannt vorkommen. Was bei diesen Beispielen jedoch überall fehlt, ist, dass wir den Aufschrei unseres Körpers ignorieren. Die Symptome werden nur lapidar zur Kenntnis genommen und mit Medikamenten, Resignation und Ausreden bekämpft bzw. übertüncht.
Wenn man aufgrund einer Krankheit sehr lange zu Hause ist, kommt irgendwann – ganz automatisch – die so dringend notwendige Entschleunigung. Der Kopf braucht sehr lange, bis er diesen Modus zulässt, aber wenn der Zeitpunkt da ist, besinnt man sich auf die wahren Werte im Leben. Die Bedürfnisse des Körpers und der Seele werden auf einen Schlag respektiert. Ich persönlich empfinde das als großen Gewinn. Aber es ist auch traurig, dass es diese Krankheit gebraucht hat, um wieder Selbstfürsorge zu betreiben. Jedoch weiß ich heute, dass ich diese zurückgewonnene Achtsamkeit nie mehr verlieren und verlassen möchte.
Durch einen meiner erfüllten Tage mit einer chronischen Erkrankung
Um zu verdeutlichen, was mir in meiner Situation einen Tag zu einem „erfüllten“ Tag macht, gebe ich euch gerne einen kurzen Einblick.
Für die meisten wird dieser eher unspektakulär sein. Für mich ist jeder Tag jedoch eine Mammutaufgabe. Aber, auch das sei gesagt, ich bin stolz darauf, was ich und mein Körper jeden Tag leisten. Meine Neugier und meine Lust am Leben tragen mich täglich. Es gibt natürlich auch Phasen, an denen ich zweifle bzw. mit meiner Situation hadere, aber ich denke, das ist legitim und angemessen.
Vormittag: Start in einen neuen Tag
Ein typischer Morgen beginnt bei mir zwischenzeitlich immer gleich: Ich trinke einen Kaffee am Esstisch und schaue in unseren Garten. Schon allein dieser Blick und die Konzentration auf das, was die Natur morgens an Geräuschen und Sichtbarkeit zu bieten hat, fängt mich ein, lässt meine Gedanken bündeln und schenkt mir Energie.
Die nächsten 1,5 bis 2 Stunden gehören der Atem-Meditation und meinen Atemübungen.
Zwischen dem unteren Atemtrainer und mir entwickelt sich so langsam eine Freundschaft.
Danach geht es für ca. 2 Stunden an mein Beatmungsgerät, bei dem ich dann meist auch einschlafe, weil mich die Atem-Meditation und die Atemübungen schon sehr viel Kraft gekostet haben. Das Beatmungsgerät unterstützt mich bei der Atmung und lässt mich, und den durch die schnelle Atmung verstärkten Stresslevel, etwas herunterfahren.
Je nachdem, was für eine Therapie an dem Vormittag geplant ist, reflektiere ich, ob ich den Weg selbst mit dem Auto bewältigen kann oder ob ich jemanden anrufen bzw. beauftragen muss, der mich dorthin fährt. Selbst die kleinsten Fahrstrecken können mich einer totalen Reizüberflutung aussetzen. Wenn ich Glück habe, komme ich um eine Panikattacke herum. Eigenständiges Fahren ist somit pure Freude und Freiheit.
Nachmittag: Selbstfürsorge
Zu Hause wieder angekommen, esse ich eine Kleinigkeit zu Mittag, mache erneut eine kleine Meditation, ergänze oder streiche eventuelle Aufschriebe in meinem Symptomtagebuch und gehe danach erneut ans Beatmungsgerät, an dem ich im Regelfall erneut einschlafe. Die Therapie (inkl. Hin- und Rückfahrt) hat meine noch zur Verfügung stehenden Energiereserven ziemlich entleert. Aber ich weiß ja: Die Therapien sind ein weiterer Baustein für mein neues gesundes Leben und ich möchte sie derzeit nicht missen. Erst ein Stein auf dem anderen bilden das Grundgerüst für ein Haus.
Abend: Reflexion und Dankbarkeit
Beim erneuten Aufwachen ist es meist schon Abend. Mein Mann ist bereits zu Hause. Er ist für mich da. Je nach Tagesverfassung reden wir über den Tag. Entweder höre ich nur zu oder ich beteilige mich an dem Gespräch und frage nach, bzw. erzähle selbst, wie der Tag so lief. Diese Zeit ist für mich sehr wertvoll und gibt mir zumindest ein kleines bisschen das Gefühl eines „normalen“ Alltags und der Teilnahme an diesem.
Bevor es am Abend ins Bett geht, widme ich mich noch meinem Dankbarkeits-Journal und notiere mir u. a. drei Dinge, die an diesem Tag besonders schön bzw. von Erfolg gekrönt waren. Mit dieser Reflexion halte ich die positiven Tages-Ereignisse fest. Denn wenn es irgendwo geschrieben steht, kann ich es mir jederzeit anschauen und mich damit wieder motivieren – egal wie „klein“ der jeweilige Erfolg oder die Situation von mir wahrgenommen wurde. Das Dankbarkeits-Journal ist mein Ausgleich zum Symptomtagebuch und zaubert mir schon beim Schreiben ein Lächeln ins Gesicht.
Fazit
Ein Leben mit einer chronischen Erkrankung ist nicht immer einfach, aber es ist auch nicht ohne Freude und Erfüllung. Es sind die (bewältigten) Alltagssituationen, die mir Kraft geben und mich daran erinnern, dass jeder Tag wertvoll ist. Ich habe gelernt, die kleinen Wege zu finden und zu schätzen, die nach oben führen und kann sie in für mich machbare Schritte einteilen. Jeder erledigte Tagespunkt ist ein kleiner Erfolg, den ich feiere. Und genau diese Erfolge, geben mir das Gefühl, auch mit einer chronischen Erkrankung ein erfülltes Leben zu führen.
Hier kommt mein Beitrag zu deiner Blogparade liebe Severine!
Trotz chronischer Schmerzen glücklich leben. https://www.mariannekewitsch.com/trotz-schmerzen-gluecklich/
Danke für deinen Aufruf.
Liebe Grüße
Marianne
Marianne, du hast mir eben mit deinem Blogbeitrag ein allumfassendes Gänsehaut-Feeling „beschert“. Zum einen fühle ich soviel, was du sagst und erzählst und zum anderen kann ich dich nur bewundern. Tränen laufen mir gerade über mein Gesicht. Es ist toll, wie stark wir aus unseren Erkrankungen hervorgehen. Mit deinem Beitrag zu meiner Blogparade wird dies sicht- und spürbar. Vielen vielen Dank hierfür. Ich wünsche dir weiterhin die Kraft und Energie, die du allein mit deinen Worten ausstrahlst.
Ganz liebe Grüße
Sevi
Liebe Severine
Schön, dass du die Idee und den Mut zu dieser Blogparade hattest. Ich finde es auch so wichtig, dass Menschen mit chronischen Erkrankungen Austausch haben mit Menschen, die auch täglich vor Herausforderungen stehen. Vorallem finde ich wichtig, immer mal darüber zu schreiben, denn es kann das Verständnis all derer verstärken, die mit Menschen zusammenleben, die teilweise eingeschränkt sind. Ich werde selbstverständlich bei deiner Blogparade mitmachen und freue mich, wenn das viele Menschen tun. Alles Liebe Marianne
Liebe Marianne, deine Worte zaubern mir gerade ein ganz, ganz breites Lächeln ins Gesicht. Vielen Dank für deine schöne und motivierende Worte. Ich werde definitiv weiter an meiner Mission dran bleiben, auch wenn meine Kraft gerade sehr stark eingeschränkt ist und ich sehnlichst darauf warte, dass es mir besser geht. Kühlere Temperaturen kämen mir da beispielsweise schon entgegen.
Ich freue mich auf deinen Beitrag.
Liebe Grüße
Sevi