Dieser Artikel ist mein Beitrag zur Blogparade „#MeinePause – Was geschieht, wenn gerade nichts geschieht?“ von Susanne Wagner.
Eine leise, aber große Frage – besonders für Menschen wie mich, die mit Post Covid und/oder ME/CFS leben.
Die Pause, die keiner sieht
Pausen sind für mich mittlerweile Alltag. Nie hätte ich es für möglich gehalten, dass ich diese sogar bewusst einplane. In meinen Pausenmomenten liege ich einfach nur im Bett, selten auf dem Sofa. Meine Augen sind im Regelfall geschlossen. Mein Körper fühlt sich schwer an. Ich bin erschöpft von den kleinen Dingen des Alltags. Alles um mich herum muss still sein. Kein Handy, kein Gespräch, kein Ton.
Wer mich nicht kennt und in der Situation sieht, denkt vermutlich, dass ich nichts mache. Aber das stimmt nicht. Ich erhole mich vom Duschen, vom Gang in die Küche oder vom Denken, denn meine Pause ist – im Gegensatz zu vielen anderen – nicht frei gewählt. Meine Pause ist Überleben.
Long Covid und ME/CFS: Wenn chronische Krankheit das Tempo vorgibt
Als ich vor etwas mehr als vier Jahren die Diagnose Post Covid erhielt, dachte ich noch, ich könnte nach kurzer Zeit der Erholung zurück in mein altes Leben. Schließlich war und bin ich willensstark. Disziplin ist ausreichend vorhanden. Auch nehme ich gerne Hilfe an, wenn sie mich weiterbringt. Und stur bin ich ebenfalls. Also musste es einfach klappen, dass ich die Covid-Infektion und ihre Auswirkungen schnell hinter mir ließ
Doch ich lag falsch. Ich wurde eines Besseren belehrt.
Von der Leistungsgesellschaft zur Pausenrealität
Vor meiner chronischen und unsichtbaren Erkrankung war ich eine von denen, die meist keine Zeit für Pausen hatte bzw. sich diese nicht nehmen wollte. Ich war gesund, hatte Energie, Spaß am Leben und an dem, was ich beruflich machte.
Pause zu machen bedeutete für mich damals kurz durchatmen, etwas essen und dann weiter mit dem nächsten To-Do.
Heute bedeutet Pause: Pacing und Ruhen, bevor gar nichts mehr geht. Mein Körper diktiert die Pausen. Mein Nervensystem fordert sie ein. Ohne ausreichend Pausen, geht nichts mehr.
Was in meinen Pausen wirklich geschieht
Ich hätte nie gedacht, dass ich lernen muss, Pausen zu ertragen.
Es ist ein Unterschied, ob man Pausen für überflüssig hält oder dazu gezwungen wird, sie zu machen. Heute hält mein Körper die Zügel in der Hand. Er zeigt mir auf brutale Art und Weise, wenn die Grenzen erreicht sind.
Somit begriff ich ganz schnell:
Pause ist das, was mich am Leben teilhaben lässt.
Wenn Menschen mit chronischer Erschöpfung oder unsichtbarer Erkrankung ruhen, sieht es für das Umfeld nach „nichts tun“ aus. Dabei geschieht in diesen Zeiten oft am meisten. Unsichtbar. Innerlich. Lebenswichtig.
Seit meiner Long Covid-Erkrankung sind meine Pausen …
🫁 Atemraum für ein erschöpftes Nervensystem
Einatmen. Ausatmen. Nicht als Meditations-Tool, sondern als Kraftquelle.
Jeder bewusste Atemzug bringt mich zurück zu mir und weg von der Überforderung, die mein Nervensystem in Dauerstress versetzt. Bei ME/CFS ist das Nervensystem oft überlastet. Atemarbeit hilft mir, es zu beruhigen. Einige Minuten reichen aus, aber diese Minuten retten oft meinen Tag.
🛌 Regeneration für Körper und Seele
In den Pausen beruhigt sich mein System. Die natürlichen Reizfilter setzen wieder ein. Die Geräuschempfindlichkeit lässt nach. Übelkeit und Schwindel gehen zurück in den aktuellen „Normalzustand“. Die Benommenheit und der Brain Fog weichen an guten Tagen der Klarheit. Der Kopf wird frei. Endlich ist es mir wieder möglich, klar zu sehen und zu denken.
Leider ist das nicht immer so, aber oft genug, um weitermachen zu können.
Heilung braucht Pausen. Das musste ich als einstige „Macherin“ und Powerfrau erst lernen.
💗 Selbstmitgefühl gegen das schlechte Gewissen bei chronischer Krankheit
Trotz dieser doch schon langen Zeit, kämpfe ich an manchen Tagen noch immer gegen das schlechte Gewissen, wenn ich ruhe. Gegen die inneren Stimmen, die sagen: „Du musst deine Grenzen überwinden. Mach es einfach“. Das ist vor allem dann der Fall, wenn ich sehe, wie viel mein Mann mir abnimmt, wie er mich unterstützt und den Haushalt allein wuppt.
Aber ich weiß auch, dass es okay ist, wie es ist, denn Pausen bei chronischer Krankheit sind keine Schwäche – sie sind Erholungszone und Kraftraum.
🖋️ Kreativität und Selbstfürsorge in der Pause
In meinen Pausen bin ich am Beatmungsgerät, höre Podcasts, lese, was es Neues im Bereich der Long Covid und ME/CFS-Forschung gibt, bin online in diversen Selbsthilfegruppen aktiv, schreibe (einzelne Absätze von) Blogartikel oder schlafe.
Schreiben ist für mich zur sanftesten Form des Aktiv-Seins geworden. Ähnlich, wie das Theraband zu meinem Fitnessstudio wurde und die Bewegung in der Natur ersetzt.
🚪Wenn Pause Selbstschutz bedeutet
Pausen einzuhalten ist für mich auch ein Nein zur Welt vor meiner Haustür. Ein Nein zum „Funktionieren“, zu Erwartungen, zur Selbstoptimierung.
Gleichzeitig ist es jedoch auch ein Ja zu mir und zur Akzeptanz meiner chronischen Krankheit.
Von Zwangspausen zu bewussten Auszeiten
Der schwere Weg der Akzeptanz
Es gab eine Zeit, da fühlten sich meine Pausen wie Aufgeben an. Wie Versagen. Wie der Beweis, dass ich nicht stark genug bin.
Heute weiß ich: Ich ziehe mich nicht zurück. Ich kehre zu mir zurück.
Wie sich meine Pausenqualität verändert hat
Meine Pausen sind achtsamer geworden. Liebevoller im Umgang mit mir selbst.
- Ich mache es mir gemütlich durch verschiedene Lichtquellen oder Deko
- Ich freue mich über das Pfeifen der Vögel, dem Prasseln des Regens oder den Wind auf der Haut
- Ich atme bewusst
- Ich plane Pausen nicht nur, ich begrüße sie. Denn nichts versuche ich so sehr zu vermeiden, wie einen Crash
Praktische Pausen- und Pacing-Strategien für den chronischen Alltag
Micro-Pausen: 5 Minuten bewusst atmen zwischen Tätigkeiten
Signal-System: Körpersignale wie Schwindel, Übelkeit oder Wortfindungsstörungen als Pausenalarm ernst nehmen
Energiebudget: Den Tag wie ein Bankkonto behandeln und nie alles auf einmal ausgeben (siehe auch Löffel-Theorie)
Notfall-Pausen: Sofort hinlegen, wenn der Körper warnt, auch wenn es unpassend ist und du z. B. bei einem Arzt bist
Unsichtbare Krankheit, sichtbare Pausen
„Du siehst aber gar nicht krank aus“
Diesen Satz kennt jeder mit Long Covid, Post Covid, ME/CFS oder anderen unsichtbaren chronischen Erkrankungen. Er macht Pausen zu einem Rechtfertigungsakt.
Doch meine Pausen müssen niemandem gefallen außer mir, meinem Körper und meinem Nervensystem.
Was mir meine erzwungenen Pausen geschenkt haben
Ja, richtig gelesen: geschenkt.
- Achtsamkeit aus der Not heraus: Ich spüre und nehme meinen Körper intensiver wahr als je zuvor
- Neues Setzen von Prioritäten: Was wirklich wichtig ist, wird klar, wenn die Energie begrenzt ist
- Tiefere Verbindungen zu Mitmenschen: Keine oberflächlichen Kontakte mehr zu Personen, die mir nicht guttun oder mich zu viel Energie kosten, dafür wahre Freundschaften
- Gestärktes Selbstmitgefühl: Ich bin viel geduldiger mit mir geworden
- Dankbarkeit für kleine Momente: Mit weniger Symptomen aufzustehen, statt ins Bett zu gehen, ist ein Geschenk
Meine heutige Beziehung zur Pause
Heute sind Pausen meine Verbündeten. Sie lehren mich:
- Grenzen zu ziehen, bevor ich zusammenbreche
- Nein zu sagen, ohne mich zu rechtfertigen
- Im Sein zu ruhen, statt nur im Tun zu leben (diesen Satz hab ich mal irgendwo gelesen und danach geklaut (Quelle unbekannt) 😉)
- Meinem Körper zu vertrauen, auch wenn er anders funktioniert als früher
Pause ist für mich zur wichtigsten Lebenskompetenz geworden.
Für andere Betroffene: Du bist nicht allein
Vielleicht brauchst du auch Pausen, die niemand versteht.
Vielleicht bist du ebenfalls müde vom Erklären.
Eventuell kennst du das Gefühl, dass dein eigener Körper dein größter Gegner geworden ist.
Dann hadere nicht mit dir. Du bist nicht faul. Du bist nicht schwach. Du bist nicht zu empfindlich.
Du bist ein Mensch, der sich in einer Welt der krankheitsbedingten Überforderung selbst schützt. Das ist in meinen Augen klug, mutig und absolut erlaubt.
Was geschieht, wenn bei dir gerade nichts geschieht?
Meine Antwort: Es geschieht alles. Regeneration. Heilung. Rückkehr zu mir. Leben.
👉 Doch nun zu dir: Was geschieht, wenn gerade nichts geschieht?
Ob du chronisch krank bist, als Angehöriger Pausenzeiten verstehen möchtest oder einfach neugierig warst, was hinter der Blogtitel steckt – ich freue mich über deinen Kommentar.
Teile deine Erfahrungen: Wie gehst du mit erzwungenen Pausen um? Welche Pacing-Strategien helfen dir im Alltag mit chronischer Erschöpfung?
Vielleicht ist gerade deine Pause der Anfang von etwas Großem.
Weitere Beiträge zur Blogparade #MeinePause findest du auf atemsinn.ch.
Liebe Sevi
Ich verneige mich vor deinem langen Weg der Akzeptanz und es berührt mich, wenn du schreibst «Heilung braucht Pausen. Das musste ich als einstige ‹Macherin› und Powerfrau erst lernen.»
Dein Lernen geschah auf die harte Tour und deine Weisheit, gut für dich selbst zu schauen, ist durch Zwangspausen über die Akzeptanz gewachsen. Heute machst du (auch für andere) das Unsichtbare sichtbar, das finde ich wunderbar.
Ich wünsche dir für deinen Alltag und deinen Lebensweg viele kleine Momente, in denen stärkendes Nichts geschieht und dich weiterträgt.
So schön, dass das Schreiben für dich zur «sanftesten Form des Aktiv-Seins» geworden ist – ich freue mich darüber, weil es uns verbindet.
Herzlichen Dank für deinen Artikel zu meiner Blogparade #MeinePause und weiterhin viel Freude am Schreiben (und natürlich am «dich atmen lassen»!
Atemgruss
Susanne
Liebe Susanne,
ich danke dir für deine wertschätzende Rückmeldung und für die Einladung zur Blogparade.
Schreiben verbindet uns tatsächlich auf eine stille, schöne Weise. Daher nehme ich dankbar deine Wünsche für stärkendes Nichts und freudvolles Schreiben mit, denn dies ermöglicht mir in Worte zu fassen, was sonst mit chronischer Erkrankung oft ungesagt bleibt.
Herzliche Grüße
Sevi