Mein Rollator hat einen Namen – und das ist gut so

Post Covid & Hilfsmittel

„Du und ein Rollator? Du bist doch viel zu jung für sowas! Geht das wirklich nicht anders?“ Diese Sätze höre ich immer wieder, wenn ich mit meinem Rollator auf Bekannte treffe, die ich schon lange nicht mehr gesehen habe. Dabei sind es nicht mal die Sätze, die mich verletzen, sondern die Blicke aus einer Mischung zwischen Mitleid und Unverständnis.

Denn was sie nach wie vor nicht verstehen: Ich lebe mit einer chronischen und unsichtbaren Erkrankung, die meinen Alltag prägt und mich in vielerlei Hinsicht einschränkt.

Dass ich mittlerweile diverse Hilfsmittel im Einsatz habe, ist eine bewusste Entscheidung für mehr Lebensqualität. Hilfsmittel sind mein Weg zur Teilhabe. Deshalb möchte ich darüber schreiben und das Stigma brechen, mit dem sich viele chronisch kranke Menschen umgeben müssen.

Warum ich auf Hilfsmittel angewiesen bin

Noch vor einigen Jahren hätte ich mir nicht vorstellen können, einmal so schnell auf Hilfsmittel angewiesen zu sein. Aber meine Erkrankung ist unsichtbar. Sie bestimmt meinen Alltag mehr als mir lieb ist.

Symptome wie Atemnot, Bewegungseinschränkungen, Erschöpfung, Muskel- bzw. Nervenschmerzen und Kreislaufprobleme gehören zu meinem Alltag. An vielen Tagen fühle ich mich so fertig, als lädt meine Batterie nicht mal um einen Prozentpunkt den Akku auf. Eine Entlastung muss her. Doch was hilft dem inneren Grinch? Dem, der die Meinung vertritt, dass ich mich vielleicht noch etwas mehr anstrengen muss als bisher – dem, der sagt: jetzt noch nicht?

Es war ein Prozess mir einzugestehen, dass ich mir helfen lassen darf und mich Hilfsmittel im Umgang mit den vielseitigen Long- bzw. Post Covid-Symptomen unterstützen. Der Weg war lang, bis ich den Weg in ein Sanitätshaus fand. Zu groß die Scham, dass mir nicht geglaubt und uneingeladen über mich geurteilt wird. Letztlich trieb mich die Einsicht und der Wunsch nach Unabhängigkeit und einem selbstbestimmten Leben an. Rückblickend eine der besten Entscheidungen der letzten Jahre!

Was Hilfsmittel leisten

Selbstbestimmung statt Schwäche

In jungen Jahren werden Hilfsmittel oft als Zeichen von Schwäche gesehen. Doch glaubt mir: Sie sind das genaue Gegenteil.

Hilfsmittel geben mir die Möglichkeit, selbst zu entscheiden, wann und wie ich etwas tue. Sie nehmen mir keine Selbstständigkeit – sie schenken sie mir zurück.

Mein Rollator hilft mir, Strecken zurückzulegen. Der Duschhocker spart mir Kraft. Andere Helferlein, wie z. B. ein Gehstock, ein orthopädisches Kissen oder ein Stehstuhl, sind für mich weitere Brücken zu mehr Lebensqualität.

Du möchtest dich auch mal informieren und/oder beraten lassen? Dann schau mal bei diesen beiden Websites vorbei:

➡️ Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe

➡️ GKV-Hilfsmittelverzeichnis

Wo ist der Unterschied zwischen Hilfsmitteln und Heilmitteln?

Heilmittel werden von einem Arzt über ein Rezept verordnet: die sogenannte Heilmittelverordnung. Durch diese ist es möglich z. B. Physio-, Ergo-, Atem- oder Logopädie-Therapien zu erhalten. Ziel dabei ist Erkrankungen vorzubeugen, Beschwerden zu lindern und aktiv am Genesungsprozess mitzuwirken. Heilmittelverordnungen sind zeitlich auf eine bestimmte Anzahl an Therapie-Stunden begrenzt. Ich denke, dass mit dieser Form von Unterstützung, die meisten von uns schon positive Erfahrungen gemacht haben. Bei mir zumindest ist es so.

Hilfsmittel sind Gegenstände oder Produkte, durch die man körperliche Einschränkungen/Beeinträchtigungen „ausgleichen“ bzw. den derzeitigen Gesundheitszustand sichern kann. Sie werden im Regelfall ebenfalls ärztlich verordnet und unterstützen im Alltag. Zu den Hilfsmitteln gehören z. B. Beatmungsgeräte, Rollatoren/Rollstühle, Windeln, Prothesen etc.

Frau im blauen Kleid sitzend und lächelnd auf einem Rollator
Hilde, mein Mobilitätshilfe bei Long Covid

Diese Hilfsmittel verändern unter anderem mein Leben mit Post Covid

Hilde, mein Rollator, ermöglicht mir Einkäufe und längere Wege. Sie ist meine Gehstütze und gleichzeitig mein mobiler Sitzplatz für spontane Pausen. Hilde und ich sind ein Team. Sie trägt meine Einkäufe, ich schiebe sie. Ich würde sagen, das ist ein guter Kompromiss.

Der Duschhocker hat mein Duscherlebnis revolutioniert. Vorher war Duschen ohne ihn ein Marathon, bei dem ich gefühlt als Letzte total ausgepowert am Ziel ankam. Von der anschließend langen Erholungszeit mal ganz zu schweigen. Heute sitze ich beim Duschen ziemlich relaxt auf meinem Hocker und spare etwas von meiner Energie für wichtigere Dinge auf.

Mein Stehstuhl ist – neben meinem Mann – der Held meiner Küche. Er ermöglicht mir, halb sitzend, halb stehend, das Schnippeln und Kochen. Durch ihn ist es wieder möglich, mich zumindest in diesem Teil des Haushalts einzubringen.

Das Beatmungsgerät schenkt mir Atemluft, Energie und Entlastung für meine Lunge. Mein Körper kann somit tagsüber wie auch nachts zur Ruhe kommen.

Die Toilettensitzerhöhung – ja, ich spreche über Toiletten – macht den Unterschied zwischen „Oh Gott, wie komme ich hier wieder hoch?“ und normalem Toilettengang. Manchmal sind es wirklich die kleinen Dinge, die zur Entlastung bei unsichtbaren Krankheiten beitragen.

Konkret bedeuten somit Hilfsmittel für mich:

  • Mehr Energie für die wichtigen Dinge im Leben.
  • Weniger Schmerzen und Kraftaufwand am Ende des Tages.
  • Die Möglichkeit, zumindest noch teilweise am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen.
  • Lebensqualität in neuer Form.

Rollator mit unter 50? Stigma und Scham im öffentlichen Raum

Ich habe lange versucht, meine Hilfsmittel vor anderen zu verstecken. Sie zu nutzen ja – aber bitte, bitte unauffällig und öffentlich nur dort, wo es nicht anders möglich war. Heute kann ich darüber nur den Kopf schütteln. Als wären sie ein peinliches Geheimnis.

Warum? Weil da diese Kommentare waren. Diese Blicke. Diese gut gemeinten, aber völlig daneben liegenden Ratschläge wie: „Du siehst doch gar nicht krank aus!“ (Danke, ich habe auch keinen Neon-Sticker auf der Stirn mit „CHRONISCH KRANK“.) „Du bist doch noch jung!“ (Ja, Überraschung und trotzdem kaputt!) „Wird das wieder?“ (Wenn ich das wüsste, würde ich mit einer Glaskugel durch das Leben laufen.)

Diese Sätze tun weh. Sie zeigen, wie wenig Platz unsere Gesellschaft für Menschen und Körper hat, die nicht der Norm entsprechen. Und wie viel Druck von unserem Umfeld ausgeht, normal zu sein, der Gesellschaft angepasst zu leben und zu funktionieren.

Aber weißt du was? Ich bin müde davon, mich zu verstecken. Müde davon, mich immer wieder zu rechtfertigen. Und ebenfalls müde davon, so zu tun, als wäre alles okay, auch wenn es das nicht ist.

Die häufigsten Reaktionen auf meine Hilfsmittel und was ich heute darauf antworte:

  • „Du bist zu jung dafür!“ → „Krankheiten können leider meinen Personalausweis nicht lesen.“
  • „Das braucht man doch nur im Alter!“ → „Mein Körper hat das Memo nicht bekommen.“
  • „Du siehst aber gar nicht krank aus!“ → „Schön, dass du so eine tolle Brille hast. Soll ich dir die vielen Arztberichte zeigen oder reicht mein Wort?“

Mittlerweile antworte ich tatsächlich so. Vielleicht an manchen Stellen noch etwas ironischer, aber sehr bestimmt. Denn ich bin es leid. Mein Wohlbefinden ist wichtiger als die Bequemlichkeit anderer Menschen.

Deshalb gebe mich meinen Hilfsmitteln Namen

Ziemlich schnell habe ich begonnen, meinen Hilfsmitteln Namen zu geben. So nenne ich u. a. meinen Rollator „Hilde“. Meine Gehhilfe „Sticksy“. Mein Wärmekissen „Vanessa“. Und mein Duschhocker „Sidney“.

Doch warum Namen für Hilfsmittel vergeben? Das ist blöd. Nein, das ist es nicht. Meine Hilfsmittel sind für mich (zwischenzeitlich) wie liebgewonnene Freunde. Dabei helfen mir die Namen, einen leichteren Zugang zu ihnen zu finden. Und weil ich merke: Wenn ich selbstbewusst und humorvoll damit umgehe, reagieren auch andere entspannter.

Meine Hilfsmittel sind ein Teil meines Alltags. Sie gehören zu mir. Ich darf sie genauso selbstverständlich behandeln wie andere ihren Fahrradhelm oder ihre (Sonnen)Brille.

Hilfsmittel bei Long Covid sind Lebensqualität

Ein Plädoyer fürs Sichtbarsein

Wenn ich eines durch meine Long Covid-Erkrankung gelernt habe: Sichtbarkeit ist keine Schwäche. Es braucht Mut, sich mit allem zu zeigen, was zu meiner chronischen und unsichtbaren Erkrankung gehört. Und es braucht noch viel mehr Mut, sich selbst zu erlauben, Hilfe anzunehmen.

Daher wünsche ich mir eine Gesellschaft, in der Hilfsmittel genauso normal sind wie Brillen. In der es keine Rolle spielt, wie alt du bist oder wie du aussiehst.

Hilfsmittel sind Lebensqualität. Sie sind Freiheit, Teilhabe und Selbstwirksamkeit. Das ist nichts, wofür man sich verstecken oder schämen muss – im Gegenteil.

Zweifel hinsichtlich der Hilfsmittelnutzung überwinden

Falls du gerade in diesem inneren Kampf steckst, vielleicht noch zögerst und denkst „Ich bin doch noch zu jung“ für ein Hilfsmittel oder „Das ist doch peinlich“ – dann hör mir zu:

Du bist es wert, dass es dir gut geht. Du darfst dir das Leben leichter machen, auch wenn andere das nicht verstehen.

Ich weiß, es ist verdammt schwer. Dieser erste Gang zum Sanitätshaus, der erste öffentliche Auftritt mit Hilfsmittel – das kostet Überwindung. Aber weißt du was? Nach dem ersten Mal wird es einfacher. Und nach dem zehnten Mal denkst du: „Warum habe ich so lange gewartet?“

Hilfsmittel sind nicht das Ende deiner Unabhängigkeit, sondern der Anfang eines selbstbestimmteren Lebens. Vertrau mir.

Fazit: Sichtbarkeit mit Hilfsmitteln ist Stärke und keine Schwäche

Ich nutze Hilfsmittel. Nicht, weil ich klein beigebe oder mich der Erkrankung unterordne, sondern weil ich mich nicht aufgebe.

Es gibt keinen Grund, sich zu verstecken. Du musst es auch nicht.

Meine Hilfsmittel sind meine Werkzeuge für ein selbstbestimmtes Leben. Sie ermöglichen mir Teilhabe, Inklusion und Barrierefreiheit. Des Weiteren schenken sie mir Energie und geben mir die Freiheit selbst zu entscheiden, was, wann und wie ich (was auch immer) tue.

Sichtbar zu sein kann schwer sein, aber es verändert alles.


Lasst uns gemeinsam zeigen, wie normal und wichtig Hilfsmittel sind.

Welche Hilfsmittel haben euer Leben verändert? Teilt eure Erfahrungen gerne in den Kommentaren.

3 Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert