Plötzlich hörst du es. In Dauerschleife. Ein Pfeifen, summen oder rauschen. Seit deiner Covid-19-Infektion begleitet es dich, Tag für Tag. Kommt dir bekannt vor? Dann – Ironie an – heiße ich dich willkommen im Club der unfreiwilligen Tonträger.
Was viele nicht wissen: Tinnitus ist eine häufige (und oft unterschätzte) Begleiterscheinung von Long- bzw. Post Covid. Du bildest es dir also nicht ein. Mittlerweile gibt es diesbezüglich sogar einige Studien dazu. Die gute Nachricht: Es gibt Wege, wie du wieder zu mehr Ruhe findest. Im Kopf und im Leben.
Was ist Tinnitus und warum nervt er so?
Tinnitus ist wie dieser eine nervige Bekannte, der ständig und so gut wie ohne Unterbrechung redet, aber im Endeffekt nichts zu sagen hat. Nur, dass er in deinem Kopf wohnt. Ohne Einladung und bekanntem Auszugstermin.
Tinnitus bezeichnet Ohrgeräusche, die ohne äußere Schallquelle entstehen. Sie können leise flüstern oder laut dröhnen und sind oft ein Spiegel deiner aktuellen Verfassung.
Bei mir persönlich ist das Ohrgeräusch meist ein Rauschen – so, als würde ich bei Wind unter einem Baum stehen und das Rascheln der Blätter wahrnehmen. Besonders heftig bemerke ich den Tinnitus, wenn ich gestresst bin oder mich körperlich überlastet habe. Dann wird aus dem leisen Hintergrundrauschen ein Orkan durch die Baumkronen, wobei der Wind ohne Gnade um meine Ohren saust.
Wieso bekomme ich einen Tinnitus nach einer Corona-Infektion? Warum entstehen die Ohrgeräusche?
Ganz einfach gesagt: Dein Körper war (oder ist) im Alarmzustand. Long- bzw. Post Covid bringt das gesamte System aus dem Takt. Und wie bei einem Wetterumschwung gerät alles aus dem Gleichgewicht (in dem Fall: inklusive akustischer Störungen). Hier ein paar der bekannten Auslöser:
- Neuroinflammation: Entzündungen im Gehirn und Nervensystem machen dich sensibler für Reize.
- Stresslevel: Tinnitus liebt Stress. Und eine Post Covid-Diagnose ist mit Dauerstress für den Körper verbunden.
- Durchblutungsstörungen: Wenn das Innenohr nicht mehr optimal versorgt wird, meldet es sich akustisch zu Wort.
- Verstärkung durch Erschöpfung: Müdigkeit reduziert die Filterfunktion des Gehirns. Dadurch werden Geräusche intensiver wahrgenommen.
Was die Wissenschaft sagt
Die Forschung weiß mittlerweile: Tinnitus ist kein Einzelfall bei Long Covid. Die Töne variieren, die Belastung auch. Und je mehr Stress, desto mehr Lärm.
📊 Studien im Überblick:
Häufigkeit von Tinnitus nach Covid-19:

Das Problem: Tinnitus gehört zu den unsichtbaren Symptomen von Post Covid. Niemand hört, was du hörst. Niemand sieht, wie anstrengend es ist, wenn der Kopf nie wirklich Ruhe gibt. Genau deshalb ist es so wichtig, darüber zu sprechen.
Leben mit Post Covid-Tinnitus: Meine persönlichen Erfahrungen
Ich erinnere mich noch gut daran, als mir dieses Geräusch zum ersten Mal auffiel. Ich lag im Bett, es war still, und trotzdem war da dieser durchgehende Ton. Zuerst dachte ich, es käme von außen. Dann wurde mir klar: Nee, da weht kein Wind. Das bin ich. Das ist in meinem Kopf bzw. in meinem Ohr.
So irritiert ich anfangs auch über dieses Geräusch war: Ich habe mich an dieses leise Rauschen gewöhnt. Es ärgert mich zwar an manchen Tagen immer noch, aber es gehört nun mal zu einem von vielen Long Covid-Symptomen, die mich seit Jahren begleiten. Im Laufe der Zeit ist mir zusätzlich aufgefallen, dass die Lautstärke und der Sound des Tinnitus ein Gradmesser sind, die mich darauf aufmerksam machen, dass ich auf mich achten und die Reißleine ziehen muss. Andernfalls lande ich womöglich in einer PEM oder einem Crash. Das passiert vor allem dann, wenn ich:
- körperlich zu viel auf einmal mache (Stichwort: Pacing)
- emotional belastet bin oder
- mich in lauten Umgebungen aufhalte
An solchen Tagen fühlt es sich an, als würde jemand die Lautstärke dieses Rauschens immer weiter aufdrehen. Besonders heftig wird es, wenn zu diesem Rauschen ein unterschwelliges Pfeifen dazukommt. Dann hilft nur noch: Rückzug, Ruhe, Selbstfürsorge.
Bewährte Strategien im Umgang mit Tinnitus nach Corona
Du wartest auf die magische Pille? Sorry. Die gibt’s (noch) nicht. Aber es gibt Strategien, die nachweislich entlasten:
🧘 Körper & Psyche beruhigen
- Tinnitus-Retraining-Therapie (TRT): Kombination aus Beratung & Soundtherapie unterstützt die Gewöhnung
- Weißes Rauschen oder Naturklänge: erleichtern die Ablenkung vom Ton
- Mein Tipp: Ich höre mir über den Tag verteilt oft Meeresrauschen oder Regengeräusche an (z. B. über Noisli.com (kann auch als App genutzt werden), myNoise oder in Spotify). Das überlagert das Rauschen und entspannt gleichzeitig.
🧠 Stress reduzieren durch
- Meditation und/oder Atemübungen
- das Führen eines Dankbarkeitsjournals bzw. einer Selbstreflexion am Abend
Wichtig: Pacing! Überlastung verstärkt den Tinnitus massiv. Hier ist die Verbindung zu anderen Post Covid-Symptomen deutlich spürbar.
🩺 Medizinische Abklärung
- Mach einen Termin für einen Hörtest bei einem HNO-Arzt aus
👥 Austausch & Begleitung
- Unterstützung und Austausch in Selbsthilfegruppen suchen (z. B. Deutsche Tinnitus-Liga) und/oder begleitend bei einem Psychologen.
- Des Weiteren besteht noch die Möglichkeit mittels einer DIGA „auf Rezept“ Hilfe im Umgang mit der Krankheit zu erhalten.
Meine Tipps aus der Praxis
- Hol dir Hilfe: Du musst das nicht alleine tragen. Professionelle Begleitung in Form von Selbsthilfegruppen bzw. Therapeuten bringen Perspektive und Erleichterung.
- Akzeptiere das Geräusch: Gewöhnung beginnt mit Neutralität. So verliert der Ton an Bedeutung.
- Starte kleine Gewohnheiten: Kurze Meditationen oder am Abend das Hören einer Naturklang-App ➡️Feste Rituale wirken nachhaltig.
- Dokumentation schafft Übersicht: Erstelle ein Tinnitus-Tagebuch, in dem du verschiedenen Situationen und ihre Auswirklungen auf dich festhältst. Das könnte z. B. der Besuch bei einem Arzt oder in einem Supermarkt sein. Schreibe auf, wie hoch du in dieser Situation die Lautstärke empfindest und überprüfe parallel dazu dein Stresslevel anhand deiner Smartwatch.
- Suche gezielt nach Apps, die dich beim Umgang mit Tinnitus unterstützen. Dies ist z. B. mit einer Verordnung für eine DIGA möglich, wie z. B. die dort im Verzeichnis hinterlegte „Meine Tinnitus App„.
Die wichtigsten Antworten bzgl. Tinnitus durch Corona im Überblick
Kann Tinnitus eine Folge von Corona sein?
Ja. Studien zeigen, dass 10–30 % der Long-Covid-Betroffenen von Tinnitus berichten. Die Ursachen reichen von Entzündungsprozessen über Stress bis zu Durchblutungsproblemen.
Ist der Tinnitus dauerhaft?
Nicht unbedingt. Manche Menschen erleben ihn nur phasenweise, andere dauerhaft. Entscheidend ist, wie du damit umgehst. Je weniger Stress, desto besser die Chancen auf Besserung.
Was hilft wirklich?
Eine Kombination aus Soundtherapie, Achtsamkeit, Stressregulation und der Austausch mit anderen hat sich – zumindest bei mir – bewährt. Wichtig: medizinische Abklärung nicht vergessen!
Fazit: Tinnitus ist eines dieser unsichtbaren Symptome, die das Leben mit Post Covid so komplex machen
Wenn dir seit deiner Corona-Erkrankung dein Kopf seine eigene Playlist vorspielt, bist du nicht verrückt.
Tinnitus nach Corona ist real und bei vielen Long Covid-Betroffenen chronisch. Die Kombination aus neurophysiologischen Veränderungen, Entzündungen und Stress erklären dies. Wie bereits erwähnt, bestätigen Studien mittlerweile die Verbreitung des Tinnitus nach einer Corona-Infektion. Die Anzahl der vielen Betroffenen mit diesem Symptom verstärken das Bild.
Es gibt jedoch Wege, wie du den Ton runterdrehen kannst. Aber dafür musst du handeln. Wie bei allen chronischen Herausforderungen ist es wichtig, dass du dich an vorderste Priorität setzt. Übe dich in Selbstfürsorge, hab Geduld und ebne deine Bereitschaft, neue Wege zu gehen.
Mit bewährten Methoden wie TRT, psychischer Stabilisierung sowie dem Austausch unter Gleichgesinnten gibt es wirksame Hilfen.
Dein Ton, deine Geschichte
Kennst du das Pfeifen im Kopf? Hast du Tricks, wie du damit umgehst? Oder einfach nur Fragen? Schreib mir in den Kommentaren und/oder teile deine Erfahrungen. Lass uns reden. Ich höre zu – auch wenn da ein bisschen Rauschen im Hintergrund ist.
Für Wissenshungrige: Studien & Quellen
- Beukes E.W. et al. (2021): „Changes in Tinnitus Experiences During the COVID-19 Pandemic“, Frontiers in Public Health.
- Munro K.J. et al. (2020): „Persistent self-reported changes in hearing and tinnitus after COVID-19“, International Journal of Audiology.
- Gallus S. et al. (2022): „Prevalence of Tinnitus in the General Population: A Systematic Review“, JAMA.
- Di Stadio A. et al. (2022): „Tinnitus following COVID-19 vaccination: A review“, Audiology Research.
- Deutsche Tinnitus-Liga e.V.: www.tinnitus-liga.de
- Erfahrungsberichte: reddit.com/r/tinnitus, TinnitusTalk.com
(Die Links wurden sinngemäß wiedergegeben)
Oha, da bin ich plötzlich sehr erleichtert, dass ich nur eine permanente Bleimantelmüdigkeit davongetragen habe. Dass über diese Konsequenzen nicht intensiver öffentlich geprochen wird, ist sehr traurig. So denken viele, es sei alles mehr oder weniger wieder wie früher, weil ja die Pandemie für beendet erklärt wurde.
Dabei können sich alle jeden Tag so ein Bündel an long-COVID-Symptomen einfangen 🙁 Ich drücke dir auf jeden Fall die Daumen!