PEM, oder auch medizinisch ausgedrückt Post-Exertional Malaise, wird mit einer Belastungsintoleranz nach einer körperlichen oder kognitiven/geistigen Aktivität gleichgesetzt. Doch was genau meine ich mit Belastungsintoleranz? Versteht man darunter das herkömmliche Gefühl, das man verspürt, wenn man beispielsweise nach einer Grippe nicht fit ist und jegliche Anstrengung bemerkt? Definitiv NEIN. PEM ist ganz und gar nicht damit zu vergleichen. Meiner Meinung nach ist PEM vergleichbar mit einem Tornado. Dieser Tornado geht mit solch einer Wucht einher, die uns regelrecht umhaut, aus den Ankern hebt und den Boden unter den Füßen wegreißt. Alles bricht über uns zusammen. Nichts steht mehr auf stabilem Fundament.
Wenn man nicht weiß, wie damit umzugehen, ist PEM pure Herausforderung und führt zur Frustration. Es beeinflusst unser Leben als Betroffene, wie auch das von Angehörigen, sehr stark.
Zeit also, die Gesellschaft etwas über PEM aufzuklären.
Die Definition von PEM
Für die meisten Betroffenen, wie auch für mich, ist PEM ein (weiteres) Symptom-Merkmal von Post-/Long Covid bzw. ME/CFS.
PEM ist eine massive Verschlechterung der Symptome nach körperlicher, emotionaler oder auch mentaler Anstrengung bzw. Belastung. Dazu zählt ebenso positiver wie negativer Stress. Selbst eine geringe Belastung kann zu einer Verschlimmerung der Symptome führen.
Was heißt das nun?
Je nach Schweregrad der Erkrankung können die Belastungsgrenzen eines Jeden individuell stark variieren. Im Gegensatz zu einer „normalen“ Erschöpfung, dauert es bei uns Betroffenen viel länger, sich von dieser Anstrengung zu erholen. Das tückische dabei ist, dass PEM oftmals mit einer Verzögerung von 24 bis 48 Stunden eintritt. Bei Betroffenen führt dies vor allem zu Beginn der Erkrankung zu einer Hilflosigkeit und einem Unverständnis, da man (noch) keinen Zusammenhang zwischen einer Aktivität und dem Zusammenbruch nach einer Aktivität sieht.
Daher ist es wirklich wichtig, sich am Tag zu beobachten und evtl. aufzuschreiben, welchen Tätigkeiten man nachgegangen ist. Somit fällt es leichter, sich im Nachhinein bewusst zu machen, auf welche Aktivitäten im Alltag zu achten ist bzw. was zu einer Verschlimmerung der Symptome führen kann. Dies können bereits vermeintlich einfache Tätigkeiten wie Einkaufen, das Lesen einer Zeitung oder das Führen eines Telefonats sein.
Des Weiteren gibt es auch bei uns Betroffene Zeiten, an denen wir Energie verspüren und diese auch nutzen wollen – trotz körperlicher oder kognitiven Einschränkungen. Doch damit überlasten wir uns häufiger, als dass es uns guttut.
Dies zu verstehen, ist ein langer Prozess. Selbst ich habe nach etwas als fast 4 Jahren nach der Diagnose immer noch Phasen, an denen es mir schwerfällt, die Situation anzunehmen. Denn Fakt ist, es ist ein Leben mit angezogener Handbremse. In diesem Leben gibt es keine Spontanität mehr, kein „ach komm, lass uns kurz…“. Alles richtet sich nach meinem tagesaktuellen Energielevel und muss geplant bzw. in kleine Schritte eingeteilt werden wie z. B. das Kochen.
Welche Symptome gehen mit der Diagnose einher?
PEM ist individuell und zeigt sich bei jedem Betroffenen in anderer Auswirkung. PEM tritt meist dann auf, nachdem man seine körperlichen oder geistigen Grenzen überschritten hat oder mit einer Situation konfrontiert wurde, die sehr emotional war. Gleichzeitig ist es meines Wissens nach die Schnittstelle von Post-/Long Covid und ME/CFS.
Die häufigsten Symptome der PEM sind folgende:
- Extreme Müdigkeit und Erschöpfung, die auch durch viel Schlaf nicht besser wird bzw. erholsam ist
- Schlafstörungen trotz oben genannter extremen Müdigkeit
- Kurzatmigkeit/Atemnot
- Übelkeit
- Schwindel
- Konzentrations- und Gedächtnisprobleme
- „Brain Fog“, d. h. die Gedanken sind nicht greifbar, der Kopf ist leer
- Muskel- und Gelenkschmerzen
- Kopfschmerzen
- Erhöhte (Reiz)Empfindlichkeit gegenüber Lärm/Geräuschen, Licht oder auch Gerüchen
- Fieberähnliche Symptome wie Glieder- oder Halsschmerzen
- Schwächegefühl
Wichtig: All diese genannten Symptome können tage- bzw. wochenlang anhalten und machen es mehr als schwierig, einen normalen Alltag zu leben bzw. zu bewältigen. Im schlimmsten Fall kann dieser Zusammenbruch (auch Crash genannt) dauerhaft anhalten.
Somit ist PEM defintiv nicht gleichzusetzen
- mit einer „normalen“ Müdigkeit, die sich nach Schlaf wieder regeneriert
- mit „normalen“ Körperschmerzen, die man verspürt, wenn man bestimmte Muskelgruppen nach Aktivitäten beansprucht oder
- auch mit „normalen“ Herz-Kreislauf-Problemen, weil der Blutdruck zu hoch ist, ein Wetterwechsel bevorsteht oder man sich nicht wohlfühlt, weil die Erholungsphase zwischen Arbeit und Freizeit oder nach einer Anstrengung zu kurz war.
Wie können Betroffene PEM erkennen?
Viele Betroffene erleben PEM das erste Mal, ohne es zu bemerken. Es wird zwar zur Kenntnis genommen, dass da gerade irgendwas nicht passt und man sich mit einer Aktivität evtl. übernommen hat, aber man geht davon aus, dass es kurzweilig ist und schnell wieder verschwindet. Auch ist es schwer, den Zusammenhang zwischen einer vorangegangenen Aktivität und den sich später zeigenden Symptomen zu erkennen.
Wer denkt denn daran, dass beispielsweise Zähne putzen als Herausforderung angesehen wird? Oder das Bücken über den Waschtisch bei der Gesichtspflege? Wie z. B. auch das Anziehen von Kleidung? Nimmt man den kompletten Prozess als solches wahr und überlegt sich, welche Aktivitäten im Rahmen von Handgriffen bzw. körperlichen Beanspruchungen damit einhergehen, sieht es anders aus. Es sind Tätigkeiten, die im Regelfall automatisiert tief in uns drin stecken. In jungen Jahren haben wir sie gelernt und in täglicher Routine geübt. Jeder einzelne Prozess ist jedoch mit einer Anstrengung für den Körper wie auch den Geist verbunden. Und wenn man sich diese einzelnen Prozesse mal vor Augen führt, sind es sehr viele Bewegungseinheiten, die mit einer Morgen- oder Abendroutine einhergehen. Und dies ist meist für uns Betroffene schon zu viel. Auch hier müssen wir somit unsere Vorgehensweise planen. Für die wenigsten kaum vorstellbar, oder?
Übrigens: Im Downloadbereich des ME/CFS-Portals findest du einen gemeinsamen Fragebogen der Kliniken rechts der Isar (TU München) und der Charité Berlin, der zur Erkennung von PEM beiträgt.
Worauf ist zu achten, damit sich der Zustand nicht verschlechtert?
Als selbst Betroffene, hab ich im Laufe der Zeit gelernt, auf bestimmte Warnsignale zu achten. Mir hilft z. B. auf das plötzlich eintretende Gefühl von Erschöpfung oder Schwindel und Übelkeit zu achten, die bereits mit leichter Anstrengung einhergeht.
Aber das Schlüsselwort schlechthin – und meinem Erachten nach überhaupt das wichtigste – ist hier das Pacing. Damit meine ich das richtige Einteilen der vorhandenen Energiereserven und die Vermeidung von Überanstrengung. Es geht darum, die richtige Balance zwischen Pause und Aktivität zu finden.
Leichter gesagt als getan, ich weiß. Aber ich weiß auch, dass es verlockend ist, sich an guten Tagen selbst herauszufordern und aktiv sein zu wollen. Man verspürt endlich mal wieder Euphorie und möchte was wuppen und seinen gewohnten Tätigkeiten nachgehen. Das „alte“ Leben ruft: Zurück zur Normalität. Zurück in ein Leben ohne Einschränkungen.
Der Wunsch, selbstständig und an einem Stück zusammenhängend was erledigen zu können, ist dauerhaft präsent – sei es nur das Ausräumen der Spülmaschine, das Staubsaugen im Wohn-/Esszimmer oder auch das Putzen des Bades. Wie sehr wünsche ich mir dies für uns alle zurück.
Aber genau dies löst häufig erneut Beschwerden aus. Werden die Grenzen des Körpers nicht eingehalten, ist der Crash nicht weit entfernt.
Unterstützende Maßnahmen
- Ausreichend Ruhepausen einplanen. Selbst bei kleinen Aufgaben, wie dem Sortieren der Wäsche, solltest du auch dich achten und regelmäßig Pausen einlegen. Und nein, das ist nicht überzogen. Lieber eine Pause zu viel, als eine zu wenig.
- Überanstrengung vermeiden. Selbst wenn es dir schwerfällt: versuche größere Anstrengungen wie z. B. das Wechseln der Bettwäsche oder Unkraut zupfen zu vermeiden und teile sie in kleinere Teilaufgaben auf – gerade auch dann, wenn du dich eigentlich fit fühlst.
- Höre auf deinen Körper. Sei achtsam. Lerne und erkenne die Signale, die darauf hinweisen, dass du eine Pause brauchst.
- Führe ein Symptomtagebuch. Schreibe auf, was du über den Tag getan hast, bei welchen Therapien/Ärzten du warst, was für persönliche Auswirkungen allein die Vorbereitung auf die Terminwahrnehmung hatte und wie du dich nach diesem Termin oder auch nach geführten Gesprächen fühlst. Achte darauf, was es in dir auslöst und notiere es dir. Du wirst sehen, dass du mit der Zeit deine persönlichen Auslöser erkennst und nachvollziehen kannst, welche Aktivitäten zu PEM führen.
- Und zu guter Letzt: Übe dich in Gelassenheit, Akzeptanz und Annahme
Wenn du nicht Schwerstbetroffen und/oder Bettlägerig bist
Vermeide nicht aus Vorsicht jegliche Belastung oder Aktivität. Probiere dich an guten und symptomfreien(!) Tagen aus mit der Ausübung bzw. Steigerung von geringen Belastungen. Behalte oben genannte unterstützende Maßnahmen im Hinterkopf, sei vorsichtig beim Ausloten deiner Grenzen und plane bewusst und achtsam deinen Tagesablauf. Solltest du feststellen, dass während deines „Ausprobierens“ Symptome auftreten, ziehe sofort und ohne zu zögern die Reißleine! Dieser Schritt war dann schon zu viel für deinen Körper. Er benötigt nun Ruhe und Regeneration, die du ihm gewähren musst.
Aktiv zu sein, Muskeln zu beanspruchen und sich selbst das Gefühl zu geben, dass unser Körper trotz Erkrankung zwar wenig, aber immerhin noch was leisten kann, und wir nicht so nutzlos sind, wie wir uns evtl. fühlen, ist gut für unsere Seele. Gleichzeitig ist es der Motivator einen Schritt nach dem anderen zu gehen.
Gibt es wissenschaftliche Erkenntnisse über die Ursachen von PEM?
Insbesondere bei ME/CFS-Betroffenen, gehen Forscher davon aus, dass PEM mit einer Störung der Energieproduktion auf Zellebene zusammenhängt. Sie sagen, dass es Hinweise auf Probleme mit den Mitochondrien, den Kraftwerken unserer Zellen, gibt. Zudem spielt das Immunsystem eine Rolle, da PEM oft mit Entzündungen und einer überaktiven Immunreaktion in Verbindung gebracht wird (Quelle: Norwegische Studie: gestörter Energiestoffwechsel bei ME/CFS — Deutsche Gesellschaft für ME/CFS (mecfs.de))
Somit unterscheidet sich PEM von einer normalen Belastungsintoleranz, da der Körper unter anderem auf Anstrengungen auf eine Weise reagiert, die nicht der Regelfall ist. Dies bringt Betroffene – bei keinem Entgegenwirken mittels Pacing – in einen Kreislauf aus Überanstrengung und Rückschlägen.
Falls du dich detaillierter mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen/Forschungen beschäftigen magst, habe ich hier noch einige weitere Links beigefügt:
Center for Disease Control and Prevention (CDC)
National Institutes of Health (NIH)
Was beschäftigt Post Covid- und ME/CFS-Betroffene besonders hinsichtlich PEM?
Es sind meiner Meinung nach, nicht nur die körperlichen und kognitiven Symptome, die uns Betroffenen zu schaffen machen, sondern auch die Belastung und Sorge, dass selbst einfache Aktivitäten zu einem Zusammenbruch führen können. Zur Verdeutlichung und als Beispiele möchte ich hier z. B. das Duschen, spazieren gehen, ein Telefonat führen, Waschmaschine ausräumen, mit Kindern spielen bzw. ihnen zuzuhören oder auch nur einem TV-Film zu folgen. nennen.
Wir fühlen uns von unseren Mitmenschen, evtl. auch von Freunden und Bekannten nicht verstanden, da die Belastungsintoleranz von außen nicht sichtbar ist. Selbst für unsere Angehörige ist es schwer, Verständnis dafür aufzubringen – einfach weil es sich um so simple Alltagstätigkeiten handelt, die man meist so nebenbei macht. Im Regelfall verschwendet man auch selten Gedanken daran, dass selbst dafür Energie freigesetzt werden muss.
Ein weiteres Thema in diesem Zusammenhang betrifft die Frustration über das fehlende Verständnis im Gesundheitswesen. Zu oft bekommen wir zu hören, dass wir einfach mehr für unsere Gesundheit machen müssen, aktiver werden sollen im Sinne von sportlichen Aktivitäten. Und das, obwohl das Gegenteil der Fall ist. Die Steigerung von Aktivität (die man auch als Graded Exercise Therapy (GET) bezeichnet), empfinden wir als schädlich, da sie uns in eine Zustandsverschlechterung versetzt. Aktivitäten ausführen ja, aber in dem Rahmen, der unser Energiehaushalt zulässt.
Daher benötigen wir Anerkennung für unsere Grenzen und Hilfe bzw. Unterstützung, um uns in unserem eigenen und individuellen Tempo zu erholen.
Abschließend zu diesem Beitrag möchte ich dir als PEM-Betroffene(m) sagen: Du bist nicht allein. Es gibt sehr viele von uns. Daher ist es meinem Erachten nach wichtig, dass wir uns gegenseitig unterstützen, uns austauschen und ja – auch voneinander lernen.
Fühle dich daher herzlich dazu eingeladen, in den Kommentaren deine Erfahrungen zu teilen. Gemeinsam sind wir stark und können somit zur Aufklärung und Sichtbarkeit von PEM beitragen.
Danke, Sevi für diesen sehr eindrucksvollen Artikel. Das Bild des Tornados macht die Wucht für mich als Außenstehende sehr anschaulich! Dein Artikel klärt ehrlich auf, macht deutlich wie schwer es ist, die Situation anzunehmen und zeigt trotzdem immer wieder auf, wie ein proaktiver Umgang möglich ist. Deine Tipps sind auch für chronisch kranke Menschen in anderen Situationen sehr hilfreich und dein wunderbar positiver Blick ist sehr motivierend!
Ich wünsche dir viel Kraft, damit du auch weiterhin solch wichtige Artikel schreiben kannst!
Hallo Sabine,
hach, deine Worte sind Gänsehaut pur. Vielen, vielen Dank! Damit motivierst du mich deutlich, weiterhin am Ball zu bleiben und meine Energie für eine Aufklärung einzusetzen. Danke schön.