Selbstfürsorge-Tipps für Betroffene von chronischen Krankheiten wie Long Covid, ME/CFS und andere
Es gibt Tage, an denen nichts mehr so ist, wie du es kennst. Der Körper macht dicht, die Energie reicht kaum zum Aufstehen, und das Leben, das man einmal kannte, liegt irgendwo hinter einem unsichtbaren Nebel.
So ging es mir nach meiner Long Covid-Diagnose. Ich musste lernen, dass Selbstfürsorge lange von mir missachtet wurde und nun (m)ein Weg ist, überhaupt noch da zu sein.
Wenn du das liest, gehörst du vielleicht auch zu uns: den Menschen, die mit einer chronischen Erkrankung wie Long Covid oder ME/CFS leben. Wir, die oft nach außen ruhig wirken, aber innerlich jeden Tag mit unserem Körper verhandeln.
Vielleicht sitzt du gerade auf dem Sofa, zu erschöpft für irgendetwas. Oder du liegst im Bett und fragst dich, ob es jemals wieder besser wird. Vielleicht hast du heute schon geweint oder kämpfst mit Schuldgefühlen, weil du wieder absagen musstest.
Ich kenne das. Daher soll diese Liste ein Werkzeugkasten voller sanfter Möglichkeiten sein – manche für heute, manche für morgen, manche zum einfach nur Lesen und Nicken.
Nicht alles passt jeden Tag und das ist okay. Manchmal reicht es, einfach zu lesen und zu wissen: Du bist nicht allein.
Wie du diese Liste nutzt:
- ✅ Nimm dir nur 1-3 Tipps auf einmal
- ✅ Markiere, was dich anspricht
- ✅ Komm immer wieder zurück – die Liste wächst mit dir
- ✅ Teile sie mit Menschen, die dich verstehen
- ✅ Kein Tipp ist ein „Muss“ – nur ein Angebot
1. Achtsamkeit & Entschleunigung im Alltag
Wenn Stillstand plötzlich zur Heilung wird
Achtsamkeit bedeutet nicht, still sitzen zu können und den Kopf leer zu bekommen. Achtsamkeit beginnt schon damit, deine Gefühle und Gedanken wertfrei anzunehmen, wenn du z. B. nichts schaffst.
Hier sind zehn sanfte Ideen, um Achtsamkeit ohne Druck zu leben:
- Sag dir: „Heute reicht es, wenn ich einfach da bin.“
- Nicht müssen, einfach sein. Nichts erzwingen.
- Wenn alles schwer ist, erlaube dir eine Minute „Schwere“, atme dann aus und wechsle deinen Fokus.
- Öffne ein Fenster und atme bewusst frische Luft.
- Zünde eine Kerze an und beobachte das Licht – mehr brauchst du nicht.
- Höre eine geführte Meditation oder Atemübung, wenn dein Kopf kreist.
- Nimm dein Körpergefühl wahr, ohne es zu bewerten.
- 5-Finger-Atmung: Fahre jeden Finger deiner Hand langsam mit dem anderen Zeigefinger ab – beim Hochfahren einatmen, beim Runterfahren ausatmen.
- Beende den Tag bewusst und reflektiere
💬 „Ich habe aufgehört, Stille zu suchen – und angefangen, mich in der Stille zu finden.“
2. Pacing & Energiemanagement bei chronischer Erschöpfung
Lerne, deine Energie zu hüten wie einen Schatz
Pacing war für mich anfangs ein Fremdwort. Heute ist es mein Lebensprinzip. Ich habe verstanden, dass Pausen keine Schwäche sind. Sie sind mein Schutzschild gegen Rückfälle.
Falls du neu in der Welt von Pacing bist: Es bedeutet, bewusst unter deiner Belastungsgrenze zu bleiben, auch wenn du dich gerade „gut“ fühlst. Es ist eine der härtesten Lektionen, aber auch eine der heilsamsten.
- Übe Pacing: Erkenne Warnzeichen, bevor sie dich stoppen.
- Zerlege Aufgaben in Mini-Schritte. Selbst das Duschen beispielsweise darf ein Projekt sein.
- Plane Pufferzeiten bei Terminen ein. Immer.
- Führe ein Symptom-Tagebuch, um Überlastungen zu erkennen.
- Smartwatch oder hilfreiche Apps nutzen, um deine Belastung im Blick zu behalten.
- Hilfsmittel verwenden, ohne schlechtes Gewissen (Gehhilfe, Duschstuhl, Rollator…).
- Tätigkeiten sitzend erledigen, wenn möglich.
- Meal-Prep oder Vorratstage: koche an guten Tagen vor.
- Lass dir vom Bioladen oder Bauernhof um die Ecke regelmäßig frische Gemüsekisten liefern.
- Plane bewusste Pausen in deinen Tagen ein, auch wenn du dich gut fühlst.
- Arbeite mit einem Timer, Wecker oder dergleichen für Tätigkeiten im Haushalt oder ähnliches, um dich nicht zu überfordern.
💬 „Ich habe zu oft über meine Grenzen gelebt, weil ich der Meinung war, dass ich mehr Energie habe als z. B. am Vortag. Doch gefühlte Mehr-Energie ist Trugschluss und nur geliehene Zeit, die ich später bitter bereuen werde.“
3. Körperpflege & kleine Wohlfühlmomente
Den Körper versorgen, der dich trägt
Lange haderte ich mit meinen Körper, weil er nicht mehr funktioniert hat wie früher. Doch irgendwann sagte mir meine Therapeuting: „Dein Körper kämpft. Jeden Tag. Und er verdient Fürsorge, anstatt Strenge“.
- Nach dem Duschen (oder Waschen im Bett) mit einer gut riechende Bodylotion eincremen.
- Trockenshampoo für Tage, an denen Haare waschen zu viel ist (besser als nichts).
- Feuchttücher griffbereit haben – für schnelle Erfrischung ohne Aufwand.
- Lieblingsduftöl auf ein Tuch geben. Manchmal reicht nur ein Hauch davon, um zu entspannen.
- Frische Bettwäsche genießen. Der Duft vermittelt Geborgenheit.
- Warmes Bad oder Fußbad, wenn möglich.
- Wärmekissen, Kühlpad oder Akupressurmatte zur Entlastung.
- Leichte Dehnungen ausführen: 2–5 Minuten reichen, wenn es gut tut.
- Lieblingskuschelkleidung tragen – weicher Stoff, vertrautes Gefühl.
- Achte auf deinen Schlafrhythmus. Routine beruhigt den Körper.
- Höre an anstrengenden Tagen leise und leichte Musik, die dich trägt.
- Lutsche achtsam ein Bonbon oder Schokolade. Schmecke dabei den Geschmack und spüre die sich dabei veränderte Textur.
💬 „Ich kann oft nur kurz duschen, aber das Eincremen danach ist ein Mini-Ritual von Selbstliebe: Mein Körper ist nicht mein Feind.“
4. Kleine Freuden für Seele & Sinne
Wenn das Leben still wird, lerne seine leisen Farben kennen
Freude fühlt sich anders an, seit ich krank bin. Früher wurde sie unterstützt durch Reisen, Feiern, Abenteuer. Heute reicht mir der Duft eines gutes Tee, das Licht am Vormittag (den Nachmittag verbringe ich meist schlafend), einigermaßen schmerzfrei zu sein oder die Anwesenheit eines lieben Menschen.
- Lieblingsfilm oder Serie schauen, wenn ich mich ablenken muss.
- Playlist für schwierige Tage erstellen.
- Wenn Lesen zu anstrengend ist: ein ruhiger Podcast oder Hörbuch.
- Gedanklich ans Meer, in den Wald oder zu deinem Lieblingsort reisen.
- Fotos mit schönen Erinnerungen anschauen.
- Etwas Leckeres kochen, auch in Etappen.
- Inspirationen in den sozialen Medien oder Blogs suchen.
- Lieblingsduft auftragen (sofern möglich), denn Düfte wecken Lebensfreude.
- Über ein lustiges Video lachen.
- Dankbarkeitstagebuch: Notiere 1-3 winzige Dinge, für die heute dankbar warst.
- Virtuelle oder reale Kaffeepause mit jemandem genießen, der dich versteht.
💬 „Früher war Freude laut. Heute ist sie leise – und manchmal versteckt sie sich in einer Tasse Tee oder in einem Sonnenstrahl auf der Haut.“
5. Kreative Selbstfürsorge: Impulse für deine Seele
Wenn Worte nicht reichen, lass deine Hände sprechen
Manchmal ist Kreativität der sanfteste Weg, Gefühle auszudrücken, die sich nicht in Worte fassen lassen. Du musst kein Kunstwerk erschaffen, es darf einfach sein.
- Schreibe ein kleines Gedicht.
- Lenke dich mit strickeln, häcklen, nähen oder anderen handwerklichen Tätigkeiten ab
- Male gedankenlos Muster oder Kreise aufs Papier.
- Male Mandalas aus oder mach „Malen nach Zahlen.“
- Bastle eine Collage aus alten Zeitschriften oder Zeitungen.
- Probiere Origami aus (YouTube hat einfach Anleitungen)
- Versuche dich in Makramee.
6. Emotionale Selbstfürsorge & mentale Gesundheit
Wenn du dich selbst wieder halten lernst
Chronisch krank zu sein bedeutet mit Gefühlen wie Trauer, Wut, Angst und Erleichterung zu leben, die kommen und gehen wie Wellen. Früher war ich ein Meister darin, sie wegdrücken. Mittlerweile weiß ich: Ich muss sie annehmen, zulassen und damit arbeiten, damit sich in mir drin was beruhigt.
- Nimm deine Gefühle an, ohne sie zu bewerten.
- Weine, wenn dir danach ist. Tränen sind keine Schwäche.
- Erlaube dir, wütend zu sein auf diese Krankheit. Wut ist berechtigt.
- Wiederhole Positive Affirmationen.
- Lächle dich selbst im Spiegel an.
- Umarme dich. Ja, wirklich – das Nervensystem reagiert auf Berührung.
- Sprich deine Gedanken laut aus, statt sie endlos kreisen zu lassen.
- Sorgen aufschreiben und den Zettel beiseitelegen.
- Erinnere dich an einen Moment, auf den du stolz bist.
- Lobe dich täglich für eine Kleinigkeit.
- Akzeptiere Angst oder Frustration, statt sie zu bekämpfen.
- Erstelle eine „Ich-bin-stark-Liste“ mit Beweisen, was du schon durchgestanden hast.
- Hab an schlechten Tagen einen Notfallplan: z.B. Playlist, Lieblingsmensch anrufen, beruhigendes Video.
💬 „Ich dachte lange, ich muss nach Außen das Gesicht wahren. Doch echte Stärke darin liegt, ehrlich traurig sein zu dürfen.“
7. Soziale Verbindung & Gemeinschaft
Gemeinsam statt allein
Eines der schwersten Dinge an Long Covid und ME/CFS ist die Einsamkeit. Freunde ziehen sich zurück, der Alltag schrumpft. Aber Verbindung findet neue Wege. Und manchmal reicht schon ein kurzes „Ich denk an dich“, um sich weniger verloren zu fühlen.
Aber nicht jede Verbindung ist gut für dich. Daher bedeutet Selbstfürsorge auch, sich von Menschen zu distanzieren, die dir schaden oder deine chronische und unsichtbare Krankheit nicht respektieren.
- Selbsthilfegruppen besuchen – online oder vor Ort.
- Eine Nachricht an jemandem schicken oder direkt anrufen: „Ich denk an dich.“
- Bitte aktiv um Hilfe. Es ist keine Schwäche.
- Mit vertrauten Menschen über Gefühle sprechen.
- Sprich oder streichle dein Haustier. Bedingungslose Zuneigung tut gut.
- In Online-Communities mitlesen oder schreiben.
- Nähe zulassen, selbst wenn sie klein beginnt.
- Wenn nötig, sich von toxischen Beziehungen abgrenzen, egal ob es sich dabei um Familie oder Freunde handelt.
- Es ist okay, wenn alte Freundschaften enden. Deine Krankheit zeigt, wer wirklich bleibt.
💬 „Verbindung und Nähe zu anderen Menschen hängt nicht von der Länge eines Treffens ab, sondern von der Echtheit eines Moments.“
8. Selbstakzeptanz & neue Prioritäten
Sei dir selbst wieder gut genug
Chronisch krank zu sein, heißt auch, ein altes Leben loszulassen. Vor meiner Erkrankung habe ich meinen Wert mit Produktivität verbunden. Heute messe ich mich daran, wie liebevoll ich mit mir umgehe.
- Realistische Ziele setzen (klein ist stark).
- Kleine Erfolge feiern, auch unsichtbare.
- Nein sagen – vor allem zu den eigenen Ansprüchen.
- Erinner dich: Pause = Selbstschutz, nicht Faulheit.
- Den Tag nach Kräften strukturieren.
- Grenzen setzen und halten.
- Selbsterhaltungstage erlauben, an denen nichts „muss“.
- Dir selbst verzeihen, wenn du weniger schaffst.
- Dich annehmen, auch wenn du dich nicht „funktional“ fühlst.
💬 „Akzeptanz kam nicht über Nacht. Sie kam in Wellen an Tagen, an denen ich mich zum ersten Mal nicht verurteilt habe.“
9. Reizmanagement & sensorische Balance
Dein Nervensystem braucht Schutz, nicht Härte
Geräusche, Licht, Gerüche – alles kann zu viel sein. Früher dachte ich, ich überreagiere. Heute weiß ich: Mein Körper will mich schützen.
- Ohrstöpsel oder Noise-Cancelling-Kopfhörer tragen.
- Sonnenbrille oder getönte Gläser bei Lichtempfindlichkeit.
- Bildschirmhelligkeit reduzieren.
- Duftfreie Produkte verwenden.
- Gedimmtes, warmes Licht statt greller Lampen.
- Termine auf Randzeiten legen, um Reizüberflutung zu vermeiden.
- Nachrichtenkonsum reduzieren.
💬 „Ich musste lernen, dass Stille nicht Leere ist, sondern Ich-Zeit. Wenn sich mein Umfeld beruhigt, beruhigt sich auch mein Inneres.“
10. Notfall-Impulse für die härtesten Tage
Manchmal ist sogar die schönste Liste zu viel
Es gibt diese Tage, an denen selbst der kleinste Tipp wie ein unerreichbarer Berg erscheint. An denen du denkst: „Ich kann nicht mal das.“ Aber denke bitte immer daran, dass selbst Nichtstun eine Form der Fürsorge ist.
Für diese Momente habe ich dir fünf radikale Vereinfachungen zusammengestellt. Impulse, die wirklich nichts von dir verlangen, außer da zu sein.
🆘 Wenn gar nichts geht: 5 kleine Impulse
Manchmal ist sogar die schönste Liste zu viel. Für diese Tage darf alles radikal einfach sein. Hier ein paar Impulse, die du dir dann erlauben kannst:
1. Atme einmal bewusst tief ein und aus. Mehr musst du nicht tun.
2. Trinke ein Glas Wasser. Es ist klein und trotzdem Selbstfürsorge.
3. Sag dir selbst: „Es ist okay, wenn ich heute nichts schaffe.“
4. Leg dich einfach hin. Dein Körper darf sich ausruhen, ohne Erklärung.
5. Halte deine Hand auf dein Herz und spüre deinen Herzschlag.
Das erinnert dich daran: Du bist da, und das genügt.
Fazit: Selbstfürsorge ist kein Luxus, sondern dein Fundament
Selbstfürsorge bedeutet, Schritt für Schritt wieder Vertrauen in uns selbst zu finden. Manche Tage gelingen, andere nicht, doch beide sind wertvoll.
Vielleicht hast du in diesen Ideen etwas entdeckt, das dich ruft. Nimm nur das, was sich leicht anfühlt. Jeder liebevolle Gedanke dir selbst gegenüber ist bereits ein erster kleiner Schritt zur gelebten Selbstfürsorge.
💚 „Wir müssen nicht funktionieren, um wertvoll zu sein. Wir sind es längst.“
💬 Du bist nicht allein auf diesem Weg. Vielleicht magst du in den Kommentaren teilen, welcher Tipp dich am meisten angesprochen hat? Oder speichere dir diese Liste für die Tage, an denen du sie brauchst.
Und wenn du jemanden kennst, der das auch lesen sollte: Teile sie. Gemeinsam tragen wir uns gegenseitig.