4 Jahre Post Covid: Verletzlichkeit, Trauer, Stolz und ungebrochene Stärke

Wieder ist ein Jahr vergangen. Ein weiteres Jahr, in dem ich mit der Diagnose Post Covid – auch bekannt als Long Covid – lebe. Ich denke, ich habe jegliches Recht dazu, an diesem Tag verletzlich, traurig, enttäuscht – und ja, auch ein wenig stolz – zu sein. Es kostet Kraft mit Long- bzw. Post Covid zu leben. Trotz fehlender inneren Stärke sitze ich hier, schreibe diesen Artikel und fühle, wie sich meine Kraft langsam, aber spürbar wieder entfaltet.

Für die meisten Menschen in meinem Umfeld existiert Corona längst nicht mehr. Und wenn, wird vorwiegend abfällig darüber gesprochen. Corona – das war doch „nur“ Maskenpflicht, Freiheitsentzug, Impfung und weitere Einschränkungen. Viele reduzieren es auf grippeähnliche Symptome, die nach kurzer Zeit wieder vergehen.

Ich jedoch bringe Corona mit anderen Gedanken in Verbindung. Die vor vier Jahren erhaltene Post Covid Diagnose bestimmt nach wie vor noch immer mein Leben.

Corona – Geheilt, aber nicht genesen

Zum Zeitpunkt meiner Infektion gab es für meine Altersklasse noch keine Möglichkeit, sich gegen das Virus impfen zu lassen. Zuerst erhielten damals die über 80-Jährigen – medienwirksam begleitet – ihre erste Impfung. Die empfohlenen Schutzmaßnahmen hielt ich ein – und trotzdem hat mich das Virus „erwischt“.

Formal gelte ich inzwischen als genesen. Doch – wie viele andere Tausende auch – bin ich weit entfernt davon, geheilt oder gar gesund zu sein.

Doch nochmals kurz zur Erinnerung:

Was versteht man unter Post Covid?

Bleiben zwölf Wochen nach einer Corona-Infektion weiterhin Symptome bestehen, spricht man von Post Covid. Der Zeitraum ab der vierten Woche nach der Infektion wird als Long Covid bezeichnet. Im medizinischen Kontext hört man inzwischen öfters das Wort Post-Covid-Syndrom (PCS). Im regulären Sprachgebrauch hat sich jedoch der Begriff Long Covid etabliert. Zwischenzeitlich wurde im Internationalen Handbuch zur Klassifikation von Krankheiten und Gesundheitsproblemen (kurz: ICD-10) die Bezeichnung Post-Covid-19-Zustand (Diagnoseschlüssel U09.9) aufgenommen.

Wichtiger als Begriffe sind jedoch die Anzahl der Symptome, die mit Long-/Post Covid einhergehen.

Häufige Symptome bei Long- bzw. Post Covid

Ich selbst kenne die meisten der hier aufgeführten typischen Symptome nur zu gut. Sie werden auch von anderen Betroffenen in den mir bekannten Selbsthilfegruppen genannt:

  • Atemwegsbeschwerden und/oder Atemnot
  • Kopf-, Herz/Brust-, Muskel-, Gelenk- und Nervenschmerzen
  • Schwindel
  • Übelkeit
  • Fatigue (schwere und anhaltende Erschöpfung)
  • eingeschränkte Belastbarkeit und Post-Exertional Malaise (PEM): starke Symptom- und auch Zustandsverschlechterung nach geringer Belastung (wird auch Belastungsintoleranz genannt)
  • Schlafstörungen (Ein- und Durchschlafstörungen wie auch fehlender erholsame Schlaf)
  • Wortfindungs- und Konzentrationsprobleme
  • Gedächtnisprobleme
  • Reizüberflutungen
  • Sehschwäche
  • Magen-Darm-Probleme
  • Bewegungs- und Koordinationsstörungen
  • und viele, viele weitere (👉 siehe Übersicht bei folgenden Quellen: Gelbe Listen, AOK und der Deutsche Gesellschaft für ME/CFS.

Viele dieser Beschwerden überschneiden sich mit der Erkrankung ME/CFS, die seit 1969 bekannt ist. Erst seit der Corona-Ausbreitung erhält sie jedoch leider die verdiente Aufmerksamkeit. Der Übergang zwischen beiden Erkrankungen ist fast fließend. Wichtig zu wissen ist, dass ME/CFS als die maximal ausprägendste Form der überschneidenden Symptome bezeichnet wird (dies wird durch internationale Diagnosekriterien – der Kanadische Konsenskriterien – kurz: CCC – festgestellt bzw. diagnostiziert).

Wenn die Verzweiflung alles überschattet

Heute ist ein schwerer Tag. Ich saß weinend auf meinem Bett, bevor die Idee für diesen Blogartikel entstand. Die Krankheit hat mir so viel genommen. Vor allem heute wird mir das wieder bewusst. Draußen scheint die Sonne, die Temperaturen steigen, das Leben um mich herum pulsiert und es mir nicht möglich ist, daran teilzuhaben.

Ich spüre ich sehr intensiv den Verlust meines alten Lebens, meiner Energie und Spontanität. Das wühlt mich innerlich auf. Ich zweifle an dem, was noch kommt und was das Leben für mich mit körperlichen Einschränkungen bereithält. Auch frage ich mich mal wieder, wie lange meine Ehe dieser Belastung noch Stand hält. Wie stabil bleiben die wenigen Freundschaften? Vom finanziellen Aspekt ganz zu schweigen. Das Leben mit einer chronischen Erkrankung kostet Geld. Sehr vieles von dem, was mir guttut, was mich im Alltag unterstützt und was meine Symptome lindert, wird entgegen der Meinung vieler, eben nicht von der Krankenkasse übernommen.

Ich will LEBEN und das heißt, am Leben teilnehmen. Allerdings ist es mir in der Form, wie ich es gern machen würde, verwehrt. Und das macht mich heute doch sehr traurig. Ich spüre eine tiefe Verletzlichkeit in mir, die ich dachte, schon lange überstanden zu haben.

Meine Post Covid – Bewältigungsstrategien

Emotionen zulassen, damit zu arbeiten, Positives aus der jeweiligen Situation herauszuziehen, das Leben als Reise zu betrachten und den eigenen Wert nicht infrage zu stellen, sind meine Bewältigungsstrategien im Umgang mit meiner chronischen und unsichtbaren Erkrankung.

An diesen Strategien halte ich fest. Sie sind wie ein Kompass, die mir den Weg Richtung Akzeptanz, Annahme der Erkrankung und Heilung bzw. Genesung bei Long-/Post Covid zeigen.

Den heutigen emotionalen Rückschlag überwinde ich. Das weiß ich ganz sicher. Auch wenn ich heute weine, weiß ich, dass ich morgen wieder klarer sehe. Reflexion, Achtsamkeit, Geduld und das Schreiben von Blogartikel helfen mir durch schwierige Phasen.

Somit lehrt mich der Tag folgendes: Es kann kommen was will, aber mein Jahresmotto für das Jahr 2025 wird weitergeführt. In vollem Bewusstsein. Mit den nötigen Pausen, aber mit 1.000-fach größerer Freude und noch breiterem Grinsen beim Erreichen eines Meilensteins.

Warum ich trotz meiner Erkrankung stolz auf mich bin

Meine Definition von Erfolg, Glück und Stärke hat sich verändert. Ich bin stolz auf mich, weil ich heute klare Grenzen ziehe. Das zeigt sich z. B. darin, dass ich „Nein“ sage, wenn ich „Nein“ meine. Falls mir eine Situation nicht guttut, verlasse ich sie. Ich priorisiere mein Wohlbefinden, auch wenn manche dies als egoistisch empfinden.

Ich bin sehr, sehr stolz darauf, dass ich vor einiger Zeit den Mut gefasst habe, mich von Personen in meinem engeren Umfeld zu trennen, die nicht wirklich für mich da waren. Menschen, die viel forderten, aber wenig zurückgaben.

Long- bzw. Post Covid hat mir vieles genommen. Aber es zeigt mir doch auch immer wieder, welche Kraft in mir steckt.

Wofür ich dankbar bin

Es gibt Zeiten während meinem Alltag mit Long-/Post Covid, in denen ich mich nicht nur vom eigenen Körper, sondern auch vom Rest der Welt verlassen fühle. Und doch gibt es in dieser Dunkelheit Lichtblicke, die meinen Alltag erhellen sowie starke Anker, an denen ich mich festhalten kann.

Dies sind meine Anker:

⚓ Ganz vorne zu nennen und am wichtigsten hierbei ist: Mein Mann. Es gibt niemanden, der mich stärker stützt, mir unter die Arme greift, an meiner Seite steht, mir alles, was möglich ist, abnimmt, meine Launen aushält und diese meist kommentarlos an sich abprallen lässt. Vielen Dank für dein Sein. DANKE von Herzen 💕.

⚓ Meine Freunde: Ohne Euch würde mir wirklich was fehlen. Ich bin Euch so dankbar für eure Offenheit, für unseren Austausch, das Verständnis, die liebevollen Worte und für das Gefühl des „Zusammen schaffen wir es“.

⚓ Meine Therapeuten: Meine Fortschritte hab ich nur Euch zu verdanken. Ihr motiviert mich, setzt feinfühlig um, steht hilfsbereit an meiner Seite und glaubt an mich. Ich weiß, dass ich ein Sturkopf bin und gern mit dem Kopf durch die Wand und über meine Grenzen gehe. Aber ihr wisst, wie damit umzugehen und mich wieder zurückzuholen und manchmal wieder zu erden.

Und hier sind meine Lichtblicke:

✨ Das Leben selbst: Es hält noch so viel bereit, was erkundet werden will.

✨ Reflexion und Achtsamkeit: Durch meine Krankheit wiederentdeckt und sooo hilfreich bei der Bewältigung.

✨ Einsatz von Hilfsmitteln: Egal ob Rollator, Duschstuhl, Stehhocker in der Küche, Staubsauger-Roboter, Beatmungsgerät, Atemtrainer, Noise-Cancelling-Kopfhörer und dergleichen – diese „Helferlein“ unterstützen mich im Alltag und machen mein Leben leichter.

Was ich mir in Zukunft von der Gesellschaft wünsche

🎁 Ich wünsche mir, dass Menschen weniger Ratschläge geben und dafür mehr Zuhören schenken.

🎁 Ich wünsche mir von Ärzten, dass nicht nur versucht wird, Krankheiten und die Auswirkungen auf den Menschen aus medizinischer Sicht zu verstehen, sondern dass sie uns als kompletten Menschen bzw. als Individium ansehen und mit uns gemeinsam den Weg begehen.

🎁 Ich wünsche mir, dass uns die Politik nicht vergisst. Wir sind so viele, die auf weitere Forschungen warten, damit wir nach Jahren der Hoffnung endlich sagen können: Wir sind gesund. Wir sind geheilt. Wir können unsere Arbeitskraft wieder der Gesellschaft zur Verfügung stellen und bringen uns ein.

🎁 Ich wünsche mir, dass wir uns weniger alleine fühlen. Hierfür reicht schon die Nachricht eines Freundes/einer Freundin mit den Worten: „Ich denke an dich“.

🎁 Ich wünsche mir, dass die Gesellschaft Menschen nicht mehr nur nach ihrer produktiven Leistung bewertet, sondern diese jenseits der Leistungsfähigkeit generell als wertvollen Mensch ansehen.

🎁 Ich wünsche mir, dass Erwartungen zurückgestellt werden. Es reicht, dass man da ist, sich einbringt und das Menschsein feiert.

Fazit: Die Diagnose Post Covid verändert einen, aber doch steht man immer noch mitten im Leben.

Long- bzw. Post Covid hat mein Leben verändert. Es hat an Tiefe und Wert gewonnen, auch wenn dies erst auf den zweiten Blick erkennbar ist. Ich führe ein Leben, das mich weiter wachsen lässt.

Schmerz, Hoffnung, Rückschläge und Selbstfindung geben sich die Hand. Doch Verletztlichkeit, Stolz, Würde, Mut und Erfolg treiben mich voran. Somit blicke ich zwar heute mit verweinten Augen aus dem Fenster, aber ich bin im Reinen mit mir.

Meine Heilungsweg ist nicht abgeschlossen – er geht weiter. Und vielleicht gehen wir ein Stück davon ja gemeinsam.

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